Werbung und Wertschöpfung
Es gibt nicht zu viele Werbeagenturen. Nicht einmal im Raum Nordhessen, wo es in Kassel gleich zwei Institute gibt, die alljährlich Dutzende „Kommunikationsexperten“ in den nordhessischen Arbeitsmarkt entlassen. Die AFAK, ausgeschrieben Akademie für Absatzwirtschaft e.V., war im Jahr ihrer Gründung 1932 Deutschlands erste Werbefachschule. Das dort angebotene „Studium“ zum staatlich geprüften Kommunikationswirt, ist zwar faktisch eine kostenpflichtige Erstausbildung mit staatlichem Abschluss. Doch was man auf der AFAK-Webseite als „idealen Einstieg in die Berufswelt der Kreativwirtschaft“ bezeichnet, ist bundesweit kaum konkurrenzfähig. Bei der AKK wiederum, voller Name Akademie für Kommunikation Kassel, bietet man ein Aufbaustudium für „Interessenten mit einem Bachelor oder Master-Abschluss fachfremder Wissenschaftsdisziplinen als Einstieg in die Marketing-, Kommunikations- und PR-Praxis“.
Tatsächlich bieten die Kassler Institute lediglich nebenberufliche Qualifizierung – und erwarten daher beide ein Vollzeitpraktikum oder eine Vollzeitbeschäftigung während der gesamten Studienzeit. Von dieser Art der Ausbildung profitieren vor allem bereits etablierte Agenturen: Einerseits stellen sie (bei der AFAK) einen Teil der Dozenten, andererseits stellen sie eine Vielzahl der notwendigerweise begehrten, vielfach unbezahlten Praktikumsplätze. „Werbe-Genies“ bildet – trotz gegenteiliger Behauptungen – keines der beiden Institute aus. Für künftige Führungsaufgaben qualifizieren beide Ausbildungsgänge ebenfalls kaum.
Vielfach führt ein AFAK-Abschluss sogar in die berufliche Sackgasse: Agenturen, denen man als billiger Praktikant eben noch willkommen war, ist man als sozialversicherungspflichtige Arbeitskraft selbst zum Mindestlohn zu teuer. Das führt zu einer großen Zahl von aus der Not geborenen Agentur-Neugründungen. Dass viele dieser jungen Agenturen im Wettbewerb mit den etablieren Agenturen ihrer ehemaligen Ausbilder und deren über Jahrzehnte gewachsenen Netzwerken kaum bestehen können, liegt auf der Hand. Unternehmensinsolvenzen, wie aktuell die der Kasseler Werbeagentur „Die Werbeagenten“, sind vor diesem Hintergrund beinahe zwangsläufig.
Wer als Nordhesse seine Berufung in der Werbung sieht, sollte daher gleich einen der wettbewerbsfähigen, weil breit angelegten und modernen Studiengänge im Bereich Mediendesign oder Medieninformatik belegen – wird dafür aber Nordhessen verlassen müssen. Für Quereinsteiger und alle die in der Region bleiben wollen, empfiehlt sich eine solide Ausbildung zum Mediengestalter. Hier erhebt man zwar nicht den Anspruch, künftige Agenturchefs auszubilden – aber immerhin gibt es tatsächlich auch in unserer Region immer mehr Arbeitsplätze, vor allem bei Industrie, Mittelstand und erfolgreichen Onlinehändlern, die eine solche praxisnahe Berufsausbildung dezidiert fordern.
Allen, die sich trotzdem trauen, in Nordhessen mit einer Werbeagentur oder einer freiberuflichen Werbetätigkeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, rate ich zum einen zur Ausprägung persönlicher, im gesamten deutschsprachigen Raum wettbewerbsfähiger Kompetenzen. Denn richtig gute Programmierer, Grafiker, Suchmaschinenoptimierer, Fotografen oder Texter gibt es trotz allem immer noch zu wenige. So lassen sich – gerade in der Anfangszeit beinahe unvermeidliche -Auftragsflauten im heimischen Markt durch Aufträge aus den wirklichen boomenden Regionen Deutschlands gut überstehen.
Zudem sollte sich jeder ambitionierte Werber, so meine Erfahrung aus 15 Jahren Selbständigkeit, fundierte betriebswirtschaftliche Kenntnisse aneignen. Schlicht weil Marketing und Werbung, und noch viel mehr die Unternehmensführung, ein Ziel nie aus den Augen verlieren darf: Am Ende des ganzen Geklappers dreht sich – zumindest in den allermeisten Fällen – doch alles um die tatsächliche, realwirtschaftliche Wertschöpfung. Wer das nicht vergisst, hat auch als Werber gute Karten.